Simon Graf, stellvertretender Sportchef von Tages-Anzeiger & SonntagsZeitung, hat während den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang die achtköpfige Tamedia-Crew geleitet. Im Interview erzählt er von den Erlebnissen und grössten Herausforderungen in Südkorea. Fotograf Urs Jaudas hat die schönsten und eindrücklichsten Momenten zudem in einer spannenden Tonbildschau festgehalten.
«Olympia war für uns die erste grosse Gelegenheit, die Stärke der Sport-Gesamtredaktion von Tamedia auszuspielen»
Acht Leute, die ausschwärmen. Wie habt Ihr das koordiniert?
Simon Graf: Zum Glück gibt es die moderne Kommunikation. Wir hielten laufend Kontakt über unsere WhatsApp-Gruppe. Je nach Schweizer Erfolgsmeldungen mussten wir bis zu vier Szenarien aufstellen. Ich hielt die Fäden in der Hand und kommunizierte mit dem Blattmacher zu Hause. Mir ist wichtig zu betonen, wieviel Herzblut hinter einem solchen sportlichen Grossprojekt steckt. Und zwar an allen Standorten, nicht nur bei uns Reportern in Südkorea. Es ist ein 24-Stunden-Betrieb. Wenn die Leute in der Schweiz ins Bett gingen und in Korea der Tag begann, war bereits ein Tickerer fürs Online im Einsatz. Um sechs Uhr morgens war der Sport-Tagesleiter im Büro und gut informiert, um mit mir das Tagesprogramm zu besprechen. Und wir waren in Südkorea meist weit bis nach Mitternacht im Einsatz. Die Zeitverschiebung gab uns die Möglichkeit, für die Printausgabe alle Geschehnisse reflektiert und in vielen Facetten abzuhandeln. Sicher kann man sagen: Olympia war für uns die erste grosse Gelegenheit, um die Stärke der Sport-Gesamtredaktion von Tamedia auszuspielen.
Du hast es angesprochen: Eine weitere Herausforderung war die grosse Zeitdifferenz. Wie seid Ihr damit umgegangen?
Simon Graf: Südkorea ist uns ja acht Stunden voraus. So fanden die meisten Events in der Schweiz in der Nacht statt. Sonst stellt sich dieses Problem für uns nur noch am Australian Open im Tennis. Wir werden es noch ein paarmal antreffen. Die nächsten beiden Olympischen Spiele finden ja in Tokio und Peking statt. Für den Print stellt sich die Herausforderung, dass die Wettkämpfe bis zu 30 Stunden Geschichte sind, wenn die Zeitung in den Briefkästen liegt. Wir handelten daher die Aktualität kleiner ab, es sei denn, es gab eine Schweizer Medaille. Und setzten dafür vermehrt auf Reportagen, Hintergrundstorys, Porträts, Kolumnen. Heutzutage werden viele Geschichten via Internet abgeschrieben. Unser grosser Trumpf ist, dass wir vor Ort sind, Leute treffen, Eindrücke sammeln, hinter die Kulissen blicken und einordnen können. Südkorea bot sich besonders für Reportagen an, weil uns von diesem Land vieles noch unbekannt ist. Wir waren an der Grenze zu Nordkorea, beim Eisfischen, auf der Skipiste, auf einer Tempeltour, liessen uns in südkoreanische Bräuche einführen oder berichteten vom Shorttrack, dem rasanten Duell auf Kufen, das die Südkoreaner so lieben und all ihre Hemmungen fallen lässt. Wir haben die Leserinnen und Leser nach Südkorea mitgenommen.
Wie müssen wir uns einen Tag im Leben eines Sportredaktors an den Olympischen Winterspielen vorstellen?
Simon Graf: Das Spannende ist, dass kein Tag dem anderen gleicht. Wenn wir auf Reportage in die Berge zu den Skifahrern oder Freestylern fuhren, war früh Tagwache. Denn wir wohnten unten an der Küste in Gangneung und mussten so bis zur drei Stunden Reisezeit einrechnen. Das Skispringen aber etwa fand bei Flutlicht gegen Mitternacht statt, da kam man nicht vor vier Uhr morgens im Bett. Wir interviewten die Sportler vor ihren Einsätzen, deckten viele Wettkämpfe ab, reisten im Land herum für Reportagen. Und natürlich ist Spontanität gefragt. Wenn jemand nicht an einen Wettkampf konnte, weil er anderswo ausgelastet war, sprang halt ein anderer ein. Nicht zu vermeiden ist, dass man täglich einige Stunden im Bus verbringt. Zum Glück gab es da WiFi, so dass wir im Bus arbeiten konnten.
Was war Dein persönliches Highlight während Deinem Aufenthalt in Pyeongchang?
Simon Graf: Der Ausflug mit unserem Fotografen Urs Jaudas an die Grenze zu Nordkorea. Als wir in die demilitarisierte Zone an der Grenze kamen, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Das Säbelrasseln vor Olympia von Kim Jong-un schreckte viele ab, während der Spiele blieb es glücklicherweise ruhig. Ja wurden sogar versöhnliche Töne angeschlagen. Am Checkpoint, wo wir nur 300 Meter von der Demarkationslinie entfernt waren, sind zwei Statuen aufgestellt: ein Buddha und eine Jungfrau Maria. Sie sind beide Nordkorea zugewandt, stehen für den Wunsch der Wiedervereinigung. Die Geschichte des geteilten Korea hat mich stark beschäftigt. Es wurden so viele Familien auseinandergerissen.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort sowie mit den anderen Medienschaffenden aus der ganzen Welt? Entsteht bei solchen Veranstaltungen jeweils eine Art Gemeinschaftsgefühl?
Simon Graf: Ja, durchaus. Die freiwilligen Helfer waren immer und überall sehr freundlich, das kreierte schon einmal eine positive Grundstimmung. Ich hatte das Gefühl, dass sie sehr stolz waren, an einem solchen Mega-Event teilzuhaben. Unter den Journalisten aus aller Welt ist die Stimmung freundschaftlich, man tauscht sich im Bus aus bei einem Schwatz, hilft sich mit Infos über Transport oder Sport. Doch da jeder seinen eigenen Weg geht und es alle eilig haben, bleibt der Kontakt eher oberflächlich.
Welcher sportliche Grossanlass steht als nächster vor der Tür?
Simon Graf: Für uns als Sportredaktion die Fussball-WM in Russland vom 14. Juni bis 15. Juli. Da sind wir ja auch sportlich wieder mittendrin. Die Zeitverschiebung ist zu Russland zum Glück nicht so gross wie zu Südkorea. Zwischen eine und vier Stunden. Für mich persönlich geht es mit Auslandeinsätzen im Tennis weiter. Ans French Open und nach Wimbledon. Aber zuerst folgt jetzt einmal das Eishockey-Playoff.